Blues- und Boogie-Größe Henning Pertiet bringt das Palais zum Beben – ohne Noten, denn die wären „wie eine Gebrauchsanleitung für die Liebe“
Von Ursula von Malleck
Boogie Woogie, der als Teil des Blues (eine der wichtigsten Wurzeln des Jazz) um 1910 im Süden der USA entstand, wird zumeist in einem schnellen, tanzbaren Rhythmus mit sich wiederholendem Basslauf gespielt und strahlt Lebensfreude pur aus. Davon wurden auch die Rasteder Musikfreunde erfasst, die das Glück hatten, Karten für das rasch ausverkaufte Konzert „Blues & Boogie Woogie“ von Henning Pertiet zu ergattern. Es war ein Comeback für den Künstler, den Enno Kramer bereits vor zehn Jahren auf die Palaisbühne geholt hatte. Sein grandioses Spiel war damals der Auslöser für die seitdem jährlich stattfindenden Boogie Woogie Konzerte, die immer mehr Freunde gewinnen.
„Auch, wenn es heute verboten ist, eine authentische Blues- und Jazz-Atmosphäre herzustellen – als Magier der Musik entführe ich sie gedanklich in eine verräucherte kleine Bar: Es ist schon weit nach Mitternacht, die Luft steht vor Rauch und Alkoholdunst, als ein versoffener Pianist reingeschlurft kommt, sich ans Piano setzt und draufloshämmert“, sagte Henning Pertiet, setzte sich an das neue Klavier des KKR und hämmerte drauflos. Dass Pertier europaweit zu den Großen des Genres gehört und heute selbst schon fast eine Legende ist, spürte das Publikum bereits bei den ersten Stücken. Die Schnelligkeit der Tonfolgen, seine Virtuosität und phantasievollen Klangmalereien sind meisterlich und gehen direkt in die Beine. Die Melodien fließen ihm quasi aus den Fingern. Damit der Schall intensiver und die Töne lauter werden, war die Verschalung des Instrumentes abgenommen worden. Die gesamte Mechanik lag somit frei und erzeugte nicht nur klanglich, sondern auch optisch eine ganz besondere Stimmung.
In familiärem Plauderton erzählte Henning Pertiet, dass er trotz seiner Passion für Boogie und Blues und dem großen Glück, Lehrer wie Axel Zwingenberger, Jo Bohnsack, Joja Wendt und seinen Onkel Gottfried Böttger gehabt zu haben, 25 Jahre des Übens gebraucht hätte, um diese Leichtigkeit zu erreichen. Noten gibt es keine für Boogie oder Blues. „Die wären“, so Pertiet, „wie eine Gebrauchsanleitung für die Liebe.“ Trotzdem tragen die stets neu variierten eigenen oder alt bekannten Stücke Namen wie „Dee Dee and the vegetable Cake“, „The Honky Tonk Blues“ oder „Boogie Nr. 5“. Der Blues-Legende Otis Spann widmete er den „Spannish-Boogie“ und für seinen kranken Freund Vince Weber schrieb er „Vince“. Ein besonderes Highlight war „Mein Leben in fünf Minuten“, ein Stück, in dem das musikalische Straucheln des Künstlers, sein Abschweifen in Jazz, Klassik und Orgelspiel so gekonnt zum Ausdruck gebracht wurde, dass man in einem Abschnitt die dröhnende Verzweiflung und Weltuntergangsstimmung des Bachschen Orgelwerkes „Toccata und Fuge“ herauszuhören glaubte. Es gab stürmischen, nicht enden wollenden Applaus.