Theater Orlando feiert mit „Tolstoi in der Nacht“ gelungene Premiere
Von Rolf Weller
„Du schreibst, und sie wacht über Dich.“ Die Vorleserin hält kurz inne, blickt ins Publikum und fährt fort: „Und auf einmal ist der Tod da, den man nicht erwartet hat.“ Das geht unter die Haut, intensiv und eindrucksvoll. Sylvia Meining las in der Premiere des Theater Orlando im Palais Rastede „Tolstoi in der Nacht“. Der nächtliche Monolog aus dem Tagebuch der Sofia Tolstoi wurde musikalisch untermalt von Pianistin Svetlana Gelbard (die sich in weiteren Aufführungen mit dem Pianisten Martin Meyer abwechseln wird), mit Auszügen aus Werken von Tschaikowsky, Liszt, Rachmaninow, Skriabin und Prokofjew.
Der preisgekrönte Monolog „Tolstoi in der Nacht“ von Pascale Roze basiert auf Tagebuchnotizen von Sofja Tolstaja, der langjährigen Ehefrau von Lew Tolstoi. Sie sind wohl eines der berühmtesten Ehepaare der Literaturgeschichte. Er gilt als einer der bedeutendsten Erzähler der Weltliteratur; insbesondere „Krieg und Frieden“ und „Anna Karenina“ sind Klassiker.
Genial und hochkompliziert
Durch „Tolstoi in der Nacht“ erhält auch Sofia eine eindrucksvolle und nachdenklich machende öffentliche Stimme. Fast 50 Jahre verbrachte sie an der Seite des „genialen und hochkomplizierten“ Grafen Tolstoi, in den sie sich schon als zehnjähriges Mädchen unsterblich verliebt hatte. Fast 50 Jahre, in denen sie mit geradezu übermenschlicher Energie die ihr gestellten Aufgaben als Mutter, Ehefrau und Schriftstellergattin erfüllte. Und der geniale, 16 Jahre ältere Graf Tolstoi hatte sehr genaue und traditionell geprägte Vorstellungen von diesen Aufgaben.
Ihre eindrucksvollen Tagebuchnotizen sind geprägt von kraftvollen, poetischen Bildern. So, wie ihre Beziehung zu Lew Tolstoi geprägt war von tiefen Brüchen und Zerrissenheit. „Sie liebte und sie hasste ihn“, würde man es heute wohl kurz benennen. Doch das wäre zu einfach gefasst und würde nicht den komplexeren Kern dieser Beziehung treffen. „Es ist die Situation eines Menschen, dessen Handlungsspielraum sich auf das Warten und das Hoffen beschränkt.“ Diese Zusammenfassung aus einer Ankündigung vom Theater Orlando, dem Zimmertheater im Palais Rastede, trifft es schon besser.
Am besten aber begleitet man Sofia Tolstoi, begibt sich mit ihr auf eine gefühlsbetonte Reise in kraftvollen, poetischen Bildern und entdeckt ganz neue, beeindruckende Blickwinkel wie beispielsweise diesen: „An der Art, wie Mann und Frau miteinander spazieren gehen, kann man den Grad ihrer Liebe erkennen.“
Weitere Aufführungen unter www.theater-orlando.de.
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